Andy Kaltenbrunner im Interview mit der Süddeutschen (14.10.21): “Ganz schlimm, wenn so etwas in den Köpfen von Politikern steckt”
Andy Kaltenbrunner
Scheinbar transparent
Inserate und Presseförderung der österreichischen Bundesregierung
120 Seiten, Delta X Verlag. ISBN: 978-3-903229-33-4
Preis: 19 Euro
Wie transparent ist die Medienförderung der österreichischen Bundesregierung?
Die Inserate der Bundesregierung sind Informationsträger und zugleich eine wichtige Erlösquelle für Österreichs Tageszeitungen. Während der Corona-Pandemie stiegen die Werbeausgaben der Regierung auf einen Rekordwert und wurden eine für manche Verlage existenziell entscheidende Medienförderung. Die Auswertung tausender Inseratendaten zeigt aber: Die Buchung geschieht oft sehr willkürlich, ohne klare Kommunikationsziele und mit bevorzugter Behandlung einzelner Medienhäuser nach intransparenten Vorgaben. Die Inseratenbuchung könne bei Medien „Wohlwollen für persönliche Zwecke“ sichern, heißt es dazu in einem internen SMS-Chat des Finanzministeriums. Nicht jede/r BürgerIn hat dann in einem solchen System dieselbe Chance, von der Regierung informiert zu werden.
Durch hohe Sonderzahlungen wurden im Corona-Krisenjahr auch die traditionelle Presseförderung und die Privatrundfunkförderung in Österreich nachhaltig verändert. Sie waren schon davor reformbedürftig, 2020 widersprach ihre Praxis der demokratiepolitisch wichtigen Idee einer fairen staatlichen Förderung von Medienvielfalt, journalistischer Qualität und digitaler Innovation. Die Forschung von Medienhaus Wien stellt die aktuellen Befunde zur ökonomischen Wirkung der herrschenden Medienpolitik zur Diskussion und zugleich die Frage: Welche Qualität von Öffentlichkeit soll in Österreich in Zukunft gefördert werden?
Abstract:
Entwicklung der Regierungsinserate
Im Jahr 2020 wurden von Österreichs Bundeskanzleramt und den Ministerien insgesamt 33.551.809,29 Euro für Medienkooperationen mit Österreichs Tageszeitungen und deren Onlinekanäle entsprechend §2 MedKF-TG („Medientransparenzgesetz”) ausgegeben. Das ist im Jahr der Corona-Pandemie der mit Abstand höchste Wert seit Einführung der Medien-Transparenzdatenbank vor einem knappen Jahrzehnt. 57 % dieses Regierungsetats wurden für Inserate in (drei) Titeln im Zeitungsboulevard eingesetzt; ein Viertel des Medienkooperations-Budgets ging an (sieben) Bundesländerzeitungen; rund ein Zehntel wurde für Inserate in (zwei) nationalen Qualitätszeitungen aufgewendet.
Das Bundeskanzleramt verweist zur Erklärung – ohne rechnerische Detailangaben – auf Inseratenvergaben der Kabinette Kurz I und Kurz II nach einer internen Formel, die Daten aus Media-Analyse und Österreichischer Auflagenkontrolle gleichwertig berücksichtige. Wie unsere Analyse zeigt, kam eine einheitliche Formel 2018 und 2019 aber tatsächlich in keinem Ministerium zur Anwendung. Es fehlen auch Hinweise auf Kommunikationsziele und ableitbare Mediapläne von Kampagnen.
2020 haben sich die Inseratenausgaben des Bundeskanzleramtes an Tageszeitungen vor allem wegen der Corona-Information auf rund 15 Millionen Euro vervielfacht. Die Anwendung einer Formel als Richtwert ist jetzt für diesen Inseratenanteil deutlich. Die Formel führt in Konsequenz zu höherer Bewertung von Gratiszeitungen. In anderen ÖVP-geführten Ministerien wurden diese Gratisblätter anteilig allerdings noch stärker berücksichtigt und 2020 (weiterhin) 70 % bis 80 % des Inseratenbudgets bei den Boulevardzeitungen Kronen Zeitung, Österreich/oe24 und Heute verwendet.
Innerhalb der Koalitionsregierung verfügten ÖVP-geführte Ressorts über 95 % der Inseratenausgaben an Zeitungen, jene von MinisterInnen der Grünen über 5 %. Das Gesundheitsministerium überließ, anders als in Deutschland, dem Bundeskanzleramt die Gesamtverantwortung für die Corona-Kampagnen. Die Streuung der Etats zeigt aber, dass weder zwischen Ministerien, noch zwischen Koalitionspartnern eine nachvollziehbare gemeinsame Vergabeformel als Buchungsgrundlage akkordiert oder übergreifend akzeptiert wurde.
Die Inseratenpolitik der Bundesregierung verzerrt damit den Tageszeitungsmarkt entlang beliebig gezogener Linien zugunsten einzelner Marktteilnehmer.
Tageszeitungen, die ihr Geschäftsmodell Print und Online wesentlich auf Vertriebserlöse von LeserInnen und UserInnen aufbauen, und solche, die digitale Transition ihres Journalismus forcieren, werden durch diese Inseratenpolitik benachteiligt.
Die Chance, als BürgerIn von bezahlten Informationen der Bundesregierung in Zeitungen erreicht zu werden, ist zudem regional sehr unterschiedlich, in Ostösterreich wesentlich höher als in den westlichen oder südlichen Bundesländern. Pro Print-LeserIn wurde am meisten bei Österreich/oe24 ausgegeben (8,22 Euro), am wenigsten bei Der Standard (2,43).
2020 gab die öffentliche Hand – Bund, Länder, Gemeinden, Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung – insgesamt rund 222 Millionen Euro für Inserate aus. Das war der höchste erfasste Wert seit Einführung der Meldepflicht für die RTR-Transparenzdatenbank 2013. Die unter Ausnutzung von Meldeschlupflöchern nicht gemeldeten Werbeausgaben können auf etwa 50 Millionen Euro hochgerechnet werden.
Staatliche Presse- und Privatrundfunkförderung
2020 wurden ebenso wie die Inseratenausgaben auch die gesetzlich geregelte staatliche Presse- und Privatrundfunkförderung wesentlich erhöht, auf mehr als 32 Millionen Euro. Die Ausschüttung von Corona-Sonderförderungen im Pandemiejahr war dabei budgetärer Ausdruck eines medienpolitischen Paradigmenwechsels. Erstmals wurden 2020 aus staatlichen Medienfördermitteln der Zeitungsmarktführer und die beiden Gratisblätter Österreichs höher mit staatlicher Förderung unterstützt als die nationale Qualitäts- und die Regionalpresse.
In Addition aller Inserate, die mit Beteiligung der öffentlichen Hand gebucht wurden und aller Unterstützungen aus staatlicher Presse- und Rundfunkförderung für Tageszeitungen lagen die Erlöse der Titel 2020 weit aufgespreizt zwischen rund 33 Millionen Euro bei der Kronen Zeitung, 22 Millionen Euro bei Österreich/oe24, knapp 18 Millionen Euro bei Heute und am Ende der Liste der Tagestitel bei rund 4 Millionen für Salzburger Nachrichten und 2 Millionen Euro für OÖ Volksblatt.
Die ökonomische Relevanz öffentlicher Mittel für Österreichs Zeitungsverlage
Für Österreichs Regionalverlage bzw. Medienhäuser mit regionalen Tageszeitungen (Styria/Kleine Zeitung und Die Presse, Moser Holding/Tiroler Tageszeitung, Salzburger Nachrichten, Wimmer Medien/Oberösterreichische Nachrichten, Russmedia/Vorarlberger Nachrichten und Neue Vorarlberger Tageszeitung) machten die Erlöse aus öffentlichen Inseraten, Presse- und Rundfunkförderung zwischen 5 % und 10 % ihrer Umsätze aus. Für das größte private Medienhaus, die Mediaprint (mit Kronen Zeitung und Kurier), erbrachte Finanzierung aus diesen Titeln etwas über 10 % des Konzernumsatzes, bei Der Standard waren es rund 15 %. Für die Verlage mit Gratisblättern (Mediengruppe Österreich/oe24 und AHVV/Heute) machten die Erlöse aus öffentlichen Inseraten und För-derungen 2020 zwischen 20 % und 40 % ihres Umsatzes aus. Für letztere be-deutet dies ein besonders hohes Maß an Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln, besonders auch von Inseraten von Regierungsstellen in Bund und Ländern.FazitDie Inseraten- und Förderpolitik von Österreichs Bundesregierung im Tages-zeitungsmarkt ist in den vergangenen Jahren ideell und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen. Aus Forschungssicht müssen wegen der sehr intransparenten, willkürlichen Inseratenvergabe der Bundesregierung „Bedenken hinsichtlich einer möglichen politischen Einflussnahme“, wie sie von der EU-Kommission in ihrem „Rechtsstaatlichkeitsbericht“ zu Österreich formuliert wurden, geteilt werden. Die Inseratenvergabe ist zugleich eine indirekte, nicht offen als solche dekla-rierte Medienförderung. Traditionelle Desiderate von Medienförderung in De-mokratien sind der Erhalt von Titel- und Meinungsvielfalt, Unterstützung von publizistischer Qualität und von unabhängigem Journalismus und seit Digita-lisierung und Globalisierung der Medienmärkte die Transitionshilfe bei natio-naler Medieninnovation. Darauf zielt die Inseratenpolitik der Bundesregierung in keiner Form. Im Pandemiejahr 2020 wurde auch die offizielle staatliche Presse- und Privat-rundfunkförderung so verändert, dass sie zeitgemäßen Prinzipien der Förderung von Meinungspluralismus, Medienvielfalt, Innovation und der Unter-stützung von unabhängigem Journalismus widerspricht.